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„Angespannt, aber nicht gestresst“: Eine Chirurgin im Fokus

Als Unfallchirurgin kümmert sich Adela Paniagua um Muskel-, Knochen- und Sehnenverletzungen, von der kleinen Platzwunde bis zu multiplen Brüchen. Eine OP dauert oft mehrere Stunden, höchste Präzision ist gefragt. Adela verrät, wie sie sich trotz Stress, Müdigkeit und langen Arbeitszeiten auf das Wichtige konzentrieren kann – und was dabei hilft.

Wie viel arbeitest Du in der Woche?  

Ich arbeite jeden Tag von 7 Uhr bis 15.30, hinzu kommen noch ein bis zwei 24-Stunden-Dienste in der Woche. Insgesamt also zwischen 50 und 60 Stunden. Nach dem Frühdienst geht es ohne Pause weiter, ich arbeite in der Notaufnahme oder im OP. Wir alle versuchen, uns nachts für einige Stunden hinzulegen, aber das ist schon sehr viel Arbeit.   

Und wie schaffst Du es, Dich trotz Müdigkeit zu konzentrieren? 

Einmal hat mich ein Fernsehteam beim Nachtdienst begleitet. Um zwei oder drei Uhr nachts war gerade Ruhe, ich saß auf meinem Stuhl und war fast eingeschlafen. Sie haben die ganze Zeit gedreht und dann kam ein Patient und ich fing wieder an zu arbeiten. Mir selbst war das nicht aufgefallen, aber später stellten sie mir die gleiche Frage: Wie schaffst du es, so schnell von absolut fertig auf wach und professionell zu schalten?  

Und was hast Du geantwortet?  

Es ist Trainingssache. Ich bin darauf trainiert, sobald es nötig ist, sofort zu funktionieren und die Müdigkeit auszublenden. Der Adrenalin-Schub macht sofort wach. Und ich trinke auch viel Kaffee, muss ich zugeben (lacht). Am Anfang leidet man natürlich: Man ist das ewige Stehen nicht gewöhnt, der Kreislauf und die Beine müssen mitspielen, es ist sehr anstrengend. Nach Jahren gewöhnt sich der Körper daran – und man lernt, den Fokus zu behalten und weiterzumachen, auch wenn man stundenlang nichts getrunken und nicht auf Toilette gegangen ist. Im Nachtdienst arbeiten wir natürlich etwas langsamer, aber es gibt Protokolle und Leitlinien, ich habe ein klares Prozedere im Kopf und vergesse nichts.

“Ich bin angespannt – aber nicht gestresst”

Wenn Du an Deine ersten Operationen denkst: Warst Du da sehr nervös? 

Ja, furchtbar. Ich habe manchmal geheult vor Operationen, weil ich unsicher oder gestresst war oder mich der Chirurg im Dienst angemault hatte, was keine Seltenheit ist. Damit muss man auch klarkommen: Es gibt viel Stress in diesem Beruf und viele schreien eben. Ich persönlich mache es nicht, aber jeder geht anders damit um. Die ersten Operationen sind sehr stressig, man hat eine große Verantwortung gegenüber dem Patienten und will nichts falsch machen. Ich bin heute immer noch angespannt, wenn ich operiere.  

Und wie schaffst Du es, Dich trotzdem zu konzentrieren?  

Ich blende alles andere aus. Ich fokussiere mich voll und ganz auf den OP-Bereich. Ich weiß nicht, wie spät es ist, ich höre nicht die Unterhaltungen. Ich bin angespannt – aber nicht gestresst, mir gehen nicht tausend Sachen durch den Kopf. Die Anspannung merke ich auch erst hinterher.  

Also bist du während der OP sozusagen im Flow. 

Genau: Tunnelblick. Natürlich quatschen wir auch mal im OP, machen Witze und entspannen uns in den Momenten, in denen ganz klar keine Gefahr besteht. Aber sobald es knifflig wird, quatscht man nicht mehr. Da wird es ganz still.  

Entspannte Momente gibt es also auch im OP-Saal – aber können Chirurgen auch Pausen machen?  

Eigentlich nicht. Die Zeit ist immer ein Stressfaktor: Wegen der Narkose und damit niemand unnötig lange warten muss. Wenn ich merke, ich bin zu angespannt, schließe ich kurz die Augen. Oder wenn wir auf Instrumente warten, die ausgepackt werden, solche Momente nutzen wir automatisch zum Entspannen. Sobald der Eingriff das erlaubt, machen wir kurze Pausen, atmen durch – und machen dann weiter.

“Im OP gibt es kein Multitasking”

Der Patient ist ja während der OP mit Tüchern abgedeckt und nur der OP-Bereich freigelegt. Es hat zwar hygienische Gründe, aber es heißt, dass es auch der Konzentration dient?  

Das stimmt mit Sicherheit. Wir sehen nur den Bereich, der operiert wird – das hilft, den Fokus auch genau da zu haben. Es gibt einen klaren Arbeitsort. Das ist wie beim Studieren: Ist der Tisch aufgeräumt, lernen wir besser, als wenn da Chaos herrscht. Generell arbeiten wir sehr organisiert und ordentlich. Wir achten darauf, dass alles nach Ablauf läuft und alles sauber ist. Die Materialien liegen nicht irgendwo auf dem Tisch, wir arbeiten nicht mit fünf Sachen gleichzeitig, sondern benutzen ein Instrument, geben es zurück und fragen nach dem nächsten. In der Notaufnahme macht man hundert Sachen gleichzeitig, im OP gibt’s kein Multitasking.   

Oft gibt es ja auch Komplikationen, zum Beispiel spritzt auf einmal Blut und man weiß nicht woher. Wie bleibst Du ruhig in solchen Momenten? 

In dem Moment steigt natürlich die Spannung. Alle werden still und versuchen zu helfen. Wenn ein Gefäß anfängt zu bluten und man findet es nicht – damit stressen sich Chirurgen am Anfang total. Aber dann lernen sie: Wenn man anfängt, ganz wild und hektisch überall zu suchen, finden sie nicht die Quelle. Der einzige Weg ist, ganz entspannt zu bleiben und in Ruhe zu suchen. Dann findet man es auch.  

Chirurgin zu sein ist das Gegenteil von einem geregelten Leben – wie gehst Du damit um?  

Ich bin oft frustriert, das ist ganz normal. Mein Mann ist auch Chirurg und früher haben wir uns manchmal tagelang nicht gesehen, weil wir abwechselnd Dienst hatten. Jetzt haben wir zwei Kinder zuhause, das ist noch schwieriger geworden. Wir können unsere Arbeit eben nicht stehen lassen: Die Menschen sind verletzt und wir müssen sie versorgen. Klar leidet das Privatleben. Mein Mann und ich reduzieren abwechselnd unsere Stunden: Mal arbeite ich 50 %, mal er. So etwas wird oft nicht gern gesehen. Viele Chirurgen lassen sich scheiden, bekommen Burnout oder Schlafstörungen. Die Arbeitszeiten müssten definitiv besser geregelt werden.  

Was motiviert Dich, trotz aller Schwierigkeiten weiterzumachen? 

Wir gehen einen sehr langen Weg, um Chirurg zu werden. Wenn man das erreicht hat, möchte man es nicht so schnell wieder loslassen. Vor allem ist es schön, schnell etwas bewegen zu können: Wir reparieren etwas und verbessern direkt die Beschwerden. Kollegen aus anderen Fachrichtungen kämpfen teilweise jahrelang mit chronischen Krankheiten, aber wenn wir unseren Job machen, ist das Problem oft direkt gelöst. Der Job hat eben sehr viele gute Seiten. Ich persönlich arbeite gern handwerklich, ich mag direkten Menschenkontakt, ich mag die Kollegen. Die meisten Chirurgen, die ich kenne, machen es trotz allem ihr Leben lang.

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