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Gewohnheiten sind nicht alles: Ein Plädoyer gegen die Routine

Gewohnheiten und Routinen: Ohne sie kein Erfolg, erzählen uns unzählige Ratgeber, Silicon-Valley-Fans und Selbstoptimierungs-Gurus. Und Routinen können gut für uns sein. Oft funktionieren sie jedoch nicht wie erwartet – und bringen auch Nachteile mit sich. Warum uns ein wenig Chaos im Leben gut tut – und wie wir trotzdem unsere Ziele erreichen können.

Frau auf Festival

Routinen sind im Grunde eine gute Sache. Gerade in den ersten Monaten der Corona-Pandemie waren sie für viele lebensrettend. Eine gewisse Ordnung und Beständigkeit im Leben hilft, Herausforderungen zu meistern, entspannter durch den Alltag zu gehen oder zum Beispiel, kreativ zu sein. 

Wenn Routinen automatisch und ohne Anstrengung ablaufen, nennen wir sie Gewohnheiten. Sie verleihen uns Stabilität, geben uns Sicherheit. Oder helfen, unsere Zähne gesund zu halten.

Die Macht der Gewohnheiten

Wie mächtig Gewohnheiten sein können, wissen alle, die schon einmal versucht haben, mit dem Rauchen aufzuhören. Und wer kleine Kinder hat, die Abend für Abend das gleiche Märchen vorgelesen bekommen wollen, weiß, dass Gewohnheiten beruhigen, die Welt weniger bedrohlich und chaotisch erscheinen lassen.  

Und tatsächlich werden schätzungsweise bis zu fünfzig Prozent unseres täglichen Tuns durch Gewohnheiten gesteuert: Welchen Arbeitsweg wir nehmen, welche Sitzhaltung wir auf dem Bürostuhl einnehmen, was wir zu Mittag essen, wie wir mit unseren Liebsten sprechen. Unser Gehirn strebt danach, möglichst viel zur Routine zu machen, um mentale Energie zu sparen. Oft genug wiederholt, machen wir gewisse Dinge auf Autopilot, weshalb wir uns oft fragen, ob wir auch sicher die Haustür abgeschlossen haben.  

Diese Eigenschaft unseres Gehirns kann man sich zunutze machen, denken so manche Manager:innen, Coaches, Startup-Gurus und Selbstoptimierungs-Fans. Wer sich möglichst viel zur Gewohnheit macht, befreit mentale Energie für wirklich wichtige Aufgaben und Entscheidungen. Deshalb tragen Menschen wie Mark Zuckerberg und Steve Jobs immer das gleiche T-Shirt. Hast Du etwa noch keine Morgenroutine, schreien uns Selbsthilfe-Artikel an. Alle erfolgreichen Menschen haben eine, werben Gewohnheiten-Tracker. Fällt es Dir schwer, regelmäßig Sport zu treiben, beständig einem Hobby nachzugehen oder in Deinem Job produktiver zu sein? Mache Deine Ziele einfach zu Gewohnheiten, sagen unzählige Ratgeber. Dann geht’s ganz von allein.  

Das Problem ist: Oft – wir würden sogar schätzen: meist – funktioniert das nicht ganz so einfach.  

Natürlich gibt’s Menschen, die von Natur aus diszipliniert sind, denen es leichtfällt, ihre Impulse zu bändigen und Routinen zu Gewohnheiten zu machen. Doch, seien wir ehrlich: Das trifft längst nicht auf alle zu.        

Das Gute ist: Unsere Ziele können wir trotzdem erreichen.  

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Gute Vorsätze: Diesmal aber wirklich!

Neues Jahr, neues Unglück: Scheiterst Du auch immer wieder an Deinen guten Vorsätzen? Gib nicht auf: Mit diesen Tipps von unserer Psychotherapeutin Ulrike Gertzen könntest Du Deine Ziele in diesem Jahr tatsächlich erreichen.

Gewohnheiten sind überbewertet

Zum einen kommt uns oft die Realität dazwischen. Eine Morgenroutine kann sicherlich eine schöne Sache sein, aber wer eher zum Team Nachteule gehört, viel Verantwortung trägt, multiplen Rollen gerecht werden und zum Beispiel Kinder, Partnerschaft, Job und Pflegefälle in der Familie unter einen Hut bekommen muss, wird beim Wort “Morgenroutine” vor allem müde lächeln.  

Diese Menschen nennt die Psychologin Michele Segar von der University of Michigan die „Unhabiters“, zu Deutsch etwa: die Ungewohnten. Sie brauchen eine gewisse Flexibilität im Leben, um angemessen auf Chaos und unvorhersehbare Ereignisse reagieren zu können. Segar sagt sogar: Gewohnheiten sind überbewertet. Ziele lassen sich auch ohne starre Routinen und immergleiche Tagesabläufe erreichen.  

Aber auch wenn wir nicht derart jonglieren müssen: Wenn uns zum Beispiel tägliches Joggen schwerfällt, ist es zwar prinzipiell möglich, dass es, oft genug wiederholt, zur Gewohnheit wird, aber eben nicht, wenn uns der ganze Prozess quält. So oder so: Der Weg zu einer neuen Gewohnheit ist oft lang, besteht aus Rückschritten und viele von uns müssen sich auch nach Jahren täglich einen Ruck geben. Viele Dinge sind zudem viel zu komplex, als dass daraus eine simple Gewohnheit entstehen könnte wie zum Beispiel beim Zähneputzen.  

Schlimmer noch, es ist genau dieser Glaube, der uns oft dazu verleitet, uns überflüssigerweise über unser angebliches Scheitern zu ärgern, wenn uns eine neue Verhaltensweise auch nach Wochen, Monaten und Jahren immer noch nicht leichtfällt, was nun mal völlig normal ist. Wir täten besser daran, von Perfektionismus Abstand zu nehmen und ein wenig Akzeptanz für die Funktionsweise unseres Gehirns an den Tag zu legen. 

Routine kann Spontaneität töten

Oft passiert auch das genaue Gegenteil: Anfangs fallen uns neue Verhaltensweisen leicht. Ganz stolz gehen wir täglich joggen oder essen jeden Mittag einen Salat – doch sobald das nicht mehr neu und aufregend ist, quälen wir uns nur noch. Oft ärgern wir uns auch noch über uns selbst und schmeißen dann erst recht hin. Es ist, als würden wir uns in ein Gefängnis einsperren und uns dann wundern, dass wir ausbrechen wollen.    

Dabei war das Wort „Routine“ nicht umsonst seit eh und je oft negativ konnotiert.  Abwechslung, Spannung, Spontaneität, Flexibilität – wenn wir uns zu starre Routinen setzen, fällt all das nun mal unter den Tisch. Im Job zählen Routine-Tätigkeiten oft zu den unbeliebtesten. Menschen, die am Fließband stehen, stumpfen oft ab. Verläuft unser Leben allzu routiniert, erleben wir weniger Neues, lernen weniger, haben weniger Raum, unserer Neugier nachzugehen.  

Laut einer Studie wirken sich Routinen auch auf unser Zeitgefühl aus: Das Leben kommt uns kürzer vor, als wenn wir öfter neue Erfahrungen machen und uns mit ungewohnten Dingen auseinandersetzen. Manche machen den Fehler, ihre Tage und Wochen so stark zu strukturieren, dass ihnen die Zeit für soziale Kontakte fehlt, für unerwartete Begegnungen, für Freundschaften oder spontane Spaziergänge, für die Erkundung der Orte, an denen sie leben – kurz, für alles, was das Leben bunter und vielfältiger macht.  Wir brauchen Abwechslung. Und auch für unsere Erholung ist sie unabdingbar. 

Ziele erreichen geht auch ohne Gewohnheiten

Wir leben in einer Ära des Perfektionismus. Zugleich fühlt sich die Welt mit ihren Kriegen, Pandemien und Inflationen immer unsicherer an. Beides trägt dazu bei, dass wir uns immer mehr nach Ordnung und Verlässlichkeit im Leben sehnen. Doch sind wir keine Maschinen. Und das müssen wir zum Glück auch gar nicht sein.   

Denn auch ohne starre Routinen oder den Anspruch, dass ein Verhalten, das uns schwerfällt, zur Gewohnheit werden muss, können wir unsere Ziele erreichen. Mit etwas mehr Gelassenheit wird das Leben viel angenehmer. Möchtest Du Dich mehr bewegen, aber Dich nicht täglich zum Joggen quälen, kannst Du Dich stattdessen oder als Abwechslung mit Freund:innen zum Spazieren gehen verabreden oder einen Tanzkurs buchen. Da kommt die Regelmäßigkeit quasi mit dem sozialen Druck mit, was das Leben leichter macht.  

Etwas einplanen ist zudem nicht gleich alles voll zu planen. Sich etwas vorzunehmen steigert natürlich die Chance, es tatsächlich auch zu tun. Jedoch müssen die Tage nicht alle gleich aussehen. Gönn Dir etwas mehr Freiraum – dann wirst Du auch für die lästigen To-Dos mehr Energie haben. Denk dran: Du bist sicherlich keine gescheiterte Existenz, wenn Du Deine Tagesgestaltung von Deiner Stimmung, Deinen Mitmenschen und dem Chaos abhängig machst, das nun mal im Leben vorkommt. Im Gegenteil: Vielleicht macht Dich das auf Dauer gelassener und glücklicher.

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