Ulrike, wir wissen, dass die allermeisten guten Vorsätze nicht eingehalten werden. Woran liegt das?
Häufig daran, dass wir unsere Ziele zu hochstecken – und vergessen, dass wenn wir an einer Schraube drehen, es Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens hat. Wenn wir zweimal die Woche ins Fitnessstudio gehen, fehlt uns diese Zeit für andere Dinge. Ich will zum Beispiel eine gute Mutter und Partnerin sein, und auch gut in meinem Job – ganz schön viel, wenn ich zudem noch Sport machen und auf meine Gesundheit achten will. Wenn ich mir zusätzliche Zeit für Sport nehme, dann fehlt mir diese Zeit zum Beispiel für das Aufräumen im Haushalt.
Wir wollen zu viel auf einmal, ohne dafür etwas opfern zu müssen.
Ja und das sorgt für Reibung – im Alltag kommt man nicht hinterher.
Also machen wir Abstriche – wahrscheinlich meistens genau da, wo wir eigentlich etwas verändern wollten?
Das ist das erste, was durch die Lappen geht. Sind wir überfordert, fallen wir gerne in alte, angenehme Verhaltensmuster: Stundenlang fernsehen, obwohl man joggen gehen oder öfter Freunde treffen möchte. Etwas Neues zu planen und durchzuführen erfordert kognitive Anstrengung. Kurzfristig ist es viel angenehmer, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, und meist orientieren wir unser Verhalten eher danach, was sich kurzfristig gut anfühlt. Aber dann verlieren wir natürlich unsere langfristigen Ziele durch die Augen.
Wie können wir das mit den guten Vorsätzen besser machen?
Zunächst sollten wir überprüfen, ob die Vorsätze tatsächlich mit unseren Werten übereinstimmen: Was für ein Mensch will ich sein? Passen meine Ziele wirklich zu meiner Person? Das finden wir heraus, indem wir zum Beispiel fragen: Wenn kein Mensch sehen würde, was ich da mache, wäre es mir immer noch wichtig? Würde ich immer noch joggen, abnehmen oder Golf spielen wollen – oder geht es um Erwartungen von außen? Oft finden wir bestimmte Eigenschaften an anderen Menschen toll, aber wenn jemand zum Beispiel extrem gelassen ist und ich ein stark impulsiver Typ, dann ist der Vorsatz „So zu werden wie Frau Meyer“ unrealistisch. Stattdessen können wir uns etwa vornehmen, beim nächsten Telefonat nicht direkt loszuschreien, wenn jemand anderer Meinung ist, sondern einmal tief durchatmen, bevor wir antworten. Realistische Ziele setzen – und kleine Verhaltensänderungen üben.
Auch um nicht am eigenen Perfektionismus zu scheitern?
Ja genau. Neue Verhaltensgewohnheiten sollen uns ja nicht als starre Regeln das Leben schwer machen – sie sind dazu da, dass unser Leben bunter, vielfältiger ist. Wobei auch das abhängig vom Typ ist: Manche kriegen es besser hin, wenn sie sich erstmal starre Regeln setzen, um ein Ziel zu erreichen. Ein weiteres Problem dabei ist oft der Umgang mit den Rückschritten – diese typischen Reaktionen, wenn etwas nicht klappt: grübeln, zweifeln, sich über sich selbst ärgern, alles hinschmeißen.
Was es noch schwerer macht, die eigenen Ziele tatsächlich zu erreichen.
Richtig – wenn ein Sportler sich nach jeder Rolle vorwärts, die daneben geht, erstmal fertig macht, wird er ja nie richtig gut werden. Besser ist: Jeden Schritt in die richtige Richtung zu feiern und Rückschritte mit Gelassenheit zu betrachten – als einen normalen Lernprozess. Interessanterweise haben Studien gezeigt, dass es besser ist es, sich nicht einfach vorzustellen, wie wir das Ziel erreicht haben und wie schön dann alles ist, sondern vielmehr wie wir die Hürden auf dem Weg zum Ziel bewältigen können. Rückschritte und Schwierigkeiten gehören eben dazu – wer das einplant, kann seine Ziele auch besser erreichen.
Was hilft noch, unsere langfristigen Ziele auf Dauer im Blick zu behalten?
Zunächst muss man seine persönlichen Fallstricke kennen. Zum Beispiel die innere Bequemlichkeit in bestimmten Situationen. Es geht darum wahrzunehmen, wenn man in alte Muster rutscht. Und dann geht es darum, Impulskontrolle zu üben. Im Bereich der psychotherapeutischen Interventionen gibt es den Begriff Urge Surfing. Das ist eine Strategie, um mit wenig hilfreichen Verhaltensimpulsen umzugehen.
Wie kann das konkret aussehen?
Bin ich zum Beispiel kurz davor, eine Tafel Schokolade zu verputzen, obwohl ich mir vorgenommen habe, weniger Zucker zu essen, nehme ich den Impuls wahr: Wie stark, von 0 bis 10, brauche ich diese Schokolade jetzt? Was taucht auf – das Bild von der Schokolade, ich stelle mir vor, wie sie schmeckt. Es taucht eine innere Unruhe auf und ich will sofort in die Küche laufen. Was nehme ich wahr – ohne es besonders auszumalen oder sich hineinzusteigern, eher aus der Beobachter-Perspektive. Wenn wir das ein paar Minuten machen, ohne etwas zu unternehmen, ist es wie eine Welle – mit der Zeit nimmt der Drang wieder ab.