Menschen scheinen unterschiedlich mit Stress und belastenden Ereignissen umzugehen. Der metakognitive Ansatz (MCT) besagt, dass die Art, wie wir mit Gedanken umgehen, da entscheidend ist?
Es gibt Studien, die das zum Beispiel im Bereich von Traumata zeigen. Nach ähnlichen Erfahrungen wie beispielsweise Naturkatastrophe oder Zugunglück entwickeln manche Menschen später eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und andere nicht. Woran liegt das? In der Wissenschaft wird diskutiert, dass das auch mit Denkprozessen zu tun hat. Alle Menschen erleben ja das Gleiche: Alpträume, Panikattacken oder Flashbacks. Nur manche bewerten das eben als Folge eines traumatischen Erlebnisses, sprich als eine normale Reaktion auf ein vollkommen ungewöhnliches Ereignis. Sie akzeptieren das und betrachten das losgelöst. Andere versuchen hingegen, diese Erinnerung zu unterdrücken oder zu vermeiden. Sie reagieren also im Gegensatz zur ersten Gruppe darauf und versuchen Einfluss auf ihre Gedanken, Erinnerungen und Träume zu nehmen.
Woran liegt das?
In der Psychologie sprechen wir von einem multifaktoriellen Modell: Genetik spielt eine gewisse Rolle genau wie Prägungen, Lernerfahrungen, Charaktereigenschaften und Erziehung. Aus metakognitiver Perspektive spielen unbewusste Annahmen über die eigenen Denkprozesse eine entscheidende Rolle – die sogenannten Metakognitionen. Eine Metakognition, die eine Erklärung dafür liefern kann, warum Menschen versuchen, gegen ihre Erinnerungen anzukämpfen und sie zu unterdrücken, könnte zum Beispiel sein: “Diese Erinnerungen können mir schaden. Ich muss sie loswerden, um nicht krank zu werden.”
Was natürlich nicht funktioniert?
Genau. Das verschlimmert nur alles und trägt dazu bei, dass Gedanken und Gefühle bestehen bleiben.
Sprich: Wir sollten den unangenehmen Gedanken und Gefühlen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich schenken – und irgendwann gehen sie wieder?
Das ist stark vereinfacht ausgedrückt, aber aus metakognitiver Sicht richtig. Man fragt sich weniger, was biographisch passiert ist, damit die Menschen ihre Gedanken und Gefühle unterdrücken oder ihnen zu viel Aufmerksamkeit schenken, sondern: Können sie das weniger tun? Denn das scheint ein Punkt zu sein, der PTBS-Symptome entweder aufrecht erhält oder nach einer Weile abklingen lässt. Natürlich sagt man nicht einfach: “Was Sie tun, ist nicht hilfreich, hören Sie auf damit” – und dann ist das Problem gelöst.
„Viele denken: Ich kann meine Sorgen nicht kontrollieren. Das ist falsch“
Christopher Gindele
Sondern?
Man versucht herauszufinden, warum manche Prozesse stattfinden und arbeitet die dahinter liegenden Metakognitionen heraus. Dann versucht man gemeinsam, sowohl diese Annahmen als auch die dysfunktionalen Prozesse zu verändern. Das hilft auch in der Stressprävention. Das Schöne ist: Wir bauen auf eine Fähigkeit auf, die jeder Mensch hat – nämlich losgelöste Achtsamkeit.
Dazu kommen wir gleich, aber erst mal: Welche Metakognitionen sind außerdem noch häufig anzutreffen?
Meistens sind sie relativ ähnlich bei vielen Menschen. Ein Klassiker: Ich habe keinen Einfluss auf meine Sorgen, ich kann sie nicht kontrollieren. Was nicht stimmt. Oder: Gedanken können Schaden auslösen, für mich oder für andere. Oder auch: Sorgen helfen mir, mich vorzubereiten. Den Körper zu beobachten, hilft Krankheiten zu entdecken. Menschen starten oft mit nicht hilfreichen Denkprozesse, weil sie sich davon etwas versprechen – aber wenn du dich zum Beispiel jeden Morgen fragst, ob du einen Tumor haben könntest, wirst du ihn nicht entdecken. Du belastest dich nur selbst.
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Was tut man mit diesen nicht gerade hilfreichen Annahmen?
Erst mal: Sie bei sich feststellen und dann durch Verhaltensänderungen überprüfen und abbauen. Eine weitere Annahme kann zum Beispiel sein: „Wenn ich etwas immer wieder gedanklich durchgehe, entdecke ich vielleicht, was ich falsch gemacht habe und kann Fehler in der Zukunft vermeiden.“ Und dann grübelt man im schlimmsten Fall die ganze Nacht. Dabei könnte vielleicht die Grübelzeit helfen. Zum Beispiel nimmt man sich täglich 20 Minuten um 17 Uhr – um dann, und nur dann über ein Problem nachzudenken. Man entscheidet: Wie lange setze ich mich mit etwas auseinander? Wenn ich einen Konflikt mit meinem Chef habe und den morgen sehe, ist es sinnvoll, mich 20 Minuten hinzusetzen und zu überlegen, was ich ihm sagen möchte. Und von mir aus drei Notizen mit ins Gespräch zu nehmen. Was keinen Sinn ergibt: sich Tag und Nacht Gedanken zu machen und dann noch gestresster ins Gespräch zu gehen.
„Ja, ich habe unangenehme Gedanken und Emotionen. Früher oder später gehen sie von allein“
Christopher Gindele
Du hast eben von der losgelösten Achtsamkeit gesprochen. Um das Konzept zu verstehen, hilft die Wolkenmetapher. Wie geht die?
Ich sage immer, die losgelöste Achtsamkeit ist eine Einstellung dem eigenen Innenleben gegenüber – seien es Gedanken, Gefühle oder Körperreaktionen. Und die Wolkenmetapher geht so: Ich schaue zum Himmel und sehe eine große, bedrohliche Gewitterwolke. Das gefällt mir nicht. Was mache ich jetzt mit dieser Wolke?
Lass mich raten: Nichts?
Ich kann ja gar nichts tun, außer darauf pusten, schimpfen oder einen Regentanz aufführen, nur bringt mir das alles nichts. Ich nehme die Wolke also zur Kenntnis und ich gehe meiner Wege. Und wenn ich das nächste Mal zum Himmel gucke, wird er sich verändert haben, ganz ohne mein Zutun. Wolken lösen sich wieder auf. Genauso funktioniert die losgelöste Achtsamkeit: Ja, ich habe Sorgengedanken und unangenehme Emotionen, aber wenn ich sie sich selbst überlasse, gehen sie früher oder später von allein.
Wie unterscheidet sich die losgelöste von der einfachen Achtsamkeit?
Der Schöpfer der metakognitiven Therapie Adrian Wells nennt da klare Kriterien zur Unterscheidung: Losgelöste Achtsamkeit braucht zum Beispiel kein ausgiebiges und regelmäßiges Üben. Es gibt keine zusätzlichen Elemente wie zum Beispiel Meditation oder die bewusste Wahrnehmung des Augenblicks. Es geht lediglich darum, dass Menschen ihre inneren Phänomene wie Gedanken und Gefühle mit Abstand betrachten können. Und das ist etwas, das wir Menschen eigentlich ganz selbstverständlich tun. Es ist also nicht nötig, etwas Neues zu erlernen, sondern eine Fähigkeit, die jeder Mensch hat, in Belastungssituationen bewusst einzusetzen.
„Nachdenken ist nicht das Gleiche wie Grübeln.“
Christopher Gindele
Wenn ich einfach nichts tue, lösen sich meine Probleme von allein? Das wäre ja schön.
Ein Beispiel: Ich bin beunruhigt über meine Altersvorsorge. Vielleicht denke ich: Mein Geld reicht im Alter eh nicht. Das ist erstmal nur ein Gedanke. Er kann zutreffen oder auch nicht. Damit ich den Kopf frei kriege, schaue ich: Gibt’s Handlungsbedarf? Ein Termin mit einem Finanzberater schadet nicht, das kann und sollte ich vielleicht tun. Aber bringt es mir etwas, mir Sorgen zu machen und diesen Gedanken weiter nachzuhängen? Nein. Nach außen kann man immer viel machen – gezielt das Problem angehen, sich etwas Gutes tun, Dinge in Ruhe zu erledigen, achtsam mit sich sein. Aber wir sprechen hier von den inneren Prozessen. Das Problem ist, viele setzen Gedanken mit der Realität gleich und das kann unnötigen Druck auslösen: Wenn ich denke, meine Altersvorsorge reicht nicht, stimmt das auch. Die losgelöste Achtsamkeit sagt: Es ist nur ein Gedanke. Kriege mit, was innerlich abläuft – und versuche nicht mehr zu machen, als wirklich nötig.
Also nicht nachdenken?
Moment. Ich will nicht sagen: Denk nie wieder über irgendwas nach. Nachdenken ist sinnvoll und macht auch Spaß. Aber Nachdenken ist nicht das Gleiche wie Grübeln oder Sorgen. Das machen wir alle mal, aber sinnvoll ist es eigentlich nie. Da ist sich die Wissenschaft einig: Ohne Grübeln gibt’s keine Depression. Ohne sich Sorgen machen gibt’s keine Angsterkrankungen. Menschen, die Burnout haben, sind häufig Sorger. Sie denken oft: Was wenn es nicht reicht? Was, wenn ich nicht gut genug bin? Sie machen einen Ticken mehr, haben Schwierigkeiten abzuschalten, ihre Freizeit zu genießen, sind in Gedanken oft bei der Arbeit.
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