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Gesund arbeiten im Startup

Lange Arbeitstage, Unsicherheit, Erfolgsdruck und kaum Ausgleich – in Startups kommt der Stress meist mit dem Job. Jan Neubauer hat vor einigen Jahren das Online-Sanitätshaus Claravital mitgegründet. Im addisca-Interview spricht er über die größten Stressfaktoren im Startup-Leben und die Motivation im Home-Office.

Arbeiten im Startup

In der Startup-Szene wurde lange nur sehr ungern über Stress gesprochen. Ist das immer noch so?

Mein Eindruck: Das hat sich total verändert. Es gab ja dieses bekannte Zitat von Oliver Samwer: „Dieses Burnout-Ding ist nichts für mich.” Inzwischen gibt es einen breiten Austausch über Selbstoptimierung – was manchmal auch ein falscher Ansatz sein kann, wenn das zusätzlich stresst. Aber Meditation, Stresscoaching, als Gründer auch mal eine Auszeit zu nehmen, Digital Detox, Work-Life-Balance: Diese Themen sind kein Tabu mehr. Ganz im Gegenteil.  

Zum Glück – denn Gründen ist bekanntlich Stress pur. Wie waren Deine Anfänge?

Am Anfang haben wir quasi rund um die Uhr gearbeitet. Wir hatten einen ehemaligen Schweinestall als  Lagerraum gemietet und da gab es nicht einmal Internet. Also haben wir morgens zuhause die Aufträge ausgedruckt, in der Lagerhalle Pakete gepackt und währenddessen über Kopfhörer mit den Kunden telefoniert. Am späten Nachmittag brachten wir die Pakete selbst in die Post und abends fing die eigentliche Arbeit an: mit den Lieferanten sprechen, das Marketing aufsetzen, die Konditionen verhandeln. Und am nächsten Morgen ging das von vorne los. 

Das klingt… furchtbar anstrengend. 

Das war eine sehr intensive Zeit, ja. Ein Jahr haben wir das zu zweit gemacht, später konnten wir erst Business Angels und dann auch größere Finanzierungsrunden gewinnen und sind inzwischen 33 Mitarbeiter. Aber ich muss sagen: Das Arbeitspensum war zwar damals größer, aber der Stress ist jetzt stärker. 

Wie kommt das? 

Generell gibt es im Startup-Leben wenige Tage, die einfach okay laufen: Entweder es gibt ein Hoch – alles klappt, man verkauft mehr, man verhandelt gut, ein Marketing-Stunt funktioniert – und man glaubt fest daran, auf dem Weg zur Weltherrschaft zu sein. Oder es bricht wieder ein, und man ist am Boden zerstört. Eine Emotion dazwischen gibt es eigentlich selten. Der Weg nach oben ist oftmals leider keine Exponentialkurve, sondern eher eine Sinuskurve mit vielen Ups and Downs. Mit der Erfahrung kommt auch die Zuversicht, dass diese schlimmen Tage und Wochen auch wieder vergehen. Aber es bleibt ein Faktor, der narbt – und der nicht für jeden ist. 

Also sind es nicht unbedingt die langen Arbeitszeiten, die stressen? 

Nein, die Anzahl der Stunden stresst mich nicht, das habe ich früh festgestellt. Als Mitgründer und Geschäftsführer muss man natürlich oft Mehrarbeit leisten – aber ich kann selbst gestalten und sehe direkt meinen Outcome. Das ist sehr befriedigend. Ich kann im Flow eine ganze Nacht durchziehen, auch über mehrere Wochen – das geht. Mich stresst mehr, wenn ich auf etwas von außen warten muss und es nicht beeinflussen kann. Mit der Zeit nimmt das noch zu, man hat die Zügel nicht immer in der Hand und es geht nicht mehr nur um einen selbst, man hat plötzlich Mitarbeiter. Rein intellektuell weiß ich: Man sollte sich darauf konzentrieren, was man beeinflussen kann. Aber das fällt unheimlich schwer.

Wie gehst Du mit dieser Unsicherheit um? 

Nach außen bin ich wenig emotional, aber mit der Zeit nimmt mich das schon auch mit. Es gab diese Phasen, wo man dauerhaft unter Strom stand und gleichzeitig wenig planen konnte. Das waren Zeiten, wo es mir sehr schlecht ging. Es hat eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, dass das ein Punkt ist, den ich auch mal bewusst angehen muss. 

Und wie hast du das dann gemacht? 

Ich musste in mich reinhören und eben trotz Termindruck die Sachen machen, die mir gut tun. Für mich ist Sport ein guter Stressableiter. Und sich mit Freunden zu treffen und über andere Themen zu sprechen. Diese Dinge werden in den Stressphasen meist als erstes gestrichen – das hat Mühe gekostet, Sport und soziale Kontakte Wochen im Voraus in den Kalender einzutragen und da Gewohnheiten zu etablieren. Ich würde nie sagen, ich bekomme das gut hin, aber ich merke nun viel schneller, wenn ich wieder im Hamsterrad stecke und komme auch schneller raus. 

Wer ein Unternehmen gründet, ist emotional auch viel stärker eingebunden. Da wird es generell schwierig mit der Work-Life-Balance? 

Ja, aber das gilt auch für die Mitarbeiter. Manche sagen: Ich habe unterschätzt, wie sehr ich hier emotional involviert bin. In den Anfangszeiten würde das auch gar nicht anders funktionieren. Darum kommen die Leute ja auch in ein Startup – man versteht, warum man hier arbeitet und sieht seinen Outcome. Das ist ja keine Phrase, es ist tatsächlich so. Aber die Kehrseite ist eben: Die schwierigen Phasen nehmen einen emotional mehr mit. Auf der anderen Seite kenne ich wenige, denen das, was im Job passiert, völlig egal wäre.

Wie zeigt sich der Stress denn im Team? 

Das Problem ist: Die gleichen stressigen Phasen, in denen wir mit den Investoren sprechen und schlecht erreichbar sind, sind genau die, in denen es wichtig wäre, regelmäßiger und offener mit den Mitarbeitern zu kommunizieren – was sich aber manchmal als schwierig gestaltet. Das spürt das Team und das führt zu Stress und Unsicherheit. Das ist ein generelles Thema, die Frage von Planbarkeit und Sicherheit. Auf der einen Seite kann man schnell aufsteigen, plötzlich ganz neue Aufgaben bekommen, aber für jemanden, der klare Strukturen und Prozesse liebt, für den wird das schwierig in einem Startup. 

Da hat Corona vermutlich noch eins draufgelegt? 

Natürlich, zum einen durch die größere finanzielle Unsicherheit, und zum anderen durch diese generelle Schwere, die die Gesamtsituation mit sich brachte. Im ersten Lockdown war es für einige sehr schwer, nicht mehr aus der Wohnung herauszukommen, das mussten wir für einige schnell wieder möglich machen. Wir bleiben auch nach Corona eine remote-first Company, aber oft kommt es zu Unsicherheiten, weil die Kommunikationswege länger sind, Brainstormen fällt auf Distanz schwerer, die Team-Events fehlen und auch die Gespräche an der Kaffeemaschine.

Wie erhält man unter diesen Bedingungen die Stimmung im Team aufrecht? 

Das haben wir noch nicht komplett rausgefunden und sicher ist es ein Thema, das auf die Agenda gehört. Wir machen die gleichen banalen Dinge wie alle anderen auch: Sich bewusst Zeit für Small-Talk nehmen und diesen auch einzufordern. Das ist anfangs komisch, aber ganz einfache Fragen helfen schon: Wie gehts dir, was machst du gerade? Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo das Gegenüber gerade steht. Wir haben eine Policy, dass die Kamera bei Besprechungen immer an bleibt, dass man sich ins Gesicht sehen kann. Und wir versuchen generell, viel zu sprechen, one-on-one, auch ohne dass es eine Agenda gibt und eben die Themen zu erspüren und den Informationsfluss so gut es geht aufrecht zu erhalten. Eine ehrliche und offene Arbeitskultur ist wichtig. 

Auch ein gutes Tool für die Stressprävention – und in vielen Unternehmen stark unterschätzt.

Genau. Das ist ein Punkt, wo die Leute manchmal erst ein bisschen schlucken – bei uns sind die Emails nicht immer voll von Nettigkeiten – aber es ist wichtig, dass man weiß, woran man ist und keine Angst zu haben braucht, Sachen direkt anzusprechen. Man kann immer sagen: “Ich bin heute müde, heute war bei mir zuhause das und das los”, und das ist völlig normal. Das wird bei uns vom Management vorgelebt und explizit eingefordert.  

Was hilft Dir persönlich noch im Arbeitsalltag?

Sich vor der Arbeit mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen, das schafft eine bessere Stimmung für den Tag. Ich habe oft auf dem Arbeitsweg Musik gehört, das ist mit Corona etwas schwieriger geworden, aber für diese Dinge muss man sich eben bewusst Zeit nehmen. Damit es nicht direkt mit den ersten Mails, Aufgaben und Terminen losgeht. Wenn ich es hinbekomme, bevor der Tag anfängt, mich hinzusetzen und zu reflektieren, was gestern gut und was schlecht lief, und aufzuschreiben, was ich heute vorhabe – das sind die Tage, die deutlich besser laufen.  

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