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„Der Kopf spielt eine Hauptrolle“: Prof. Thomas Kötter im Gespräch über Resilienz

Thomas Kötter ist Professor und Hausarzt und hat unter anderem zum Thema Resilienz unter angehenden Medizinern geforscht. Er verrät, was resilienter macht, welche Interventionen stärken können und welche Rolle unsere Denkmuster spielen.

Kötter-über-Resilienz

Es heißt oft: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Stimmen Sie dem zu?  

Nein, das ist zu pauschal. Das würde bedeuten, jegliche Form von Stress führe dazu, dass man danach in der Lage sei, diesen Stress besser zu bewältigen. Resilienz ist vielmehr die Fähigkeit, nach schädigenden Einflüssen wieder zum Ausgangsniveau des psychischen und physischen Wohlbefindens zurückzukehren.  

Aber können wir nicht auch aus Krisen lernen?  

Ja, mit Sicherheit. Moderate Stressereignisse helfen uns, besser auf ähnliche Stressoren vorbereitet zu sein. Stichwort moderat – das hat seine Grenzen. Resilienz bedeutet, dass wir die Gelegenheit und die Ressourcen brauchen, um zum Ausgangsniveau zurückzukehren. Negative Einflüsse in Serie können auch irreversiblen Schaden hinterlassen.

„Soziale Unterstützung und Zugehörigkeit sind wesentlich“

In Ihrer Forschung haben Sie ein hohes Perfektionsstreben und eine geringe Distanzierungsfähigkeit als Risikofaktoren identifiziert 

Diese Muster schleichen sich oft ein, um mit den Anforderungen des Medizinstudiums fertig zu werden – und sie korrelieren mit einem erhöhten Risiko von Burnout, Depressivität und Ängstlichkeit. Perfektionismus und geringe Distanzierung können zu ständiger Überlastung führen, die Resilienz – also immer wieder zum Ausgangszustand zurückzukehren – mindern.  

Eine andere Studie von Ihnen zeigte wiederum, dass eine hohe Identifikation mit dem eigenen Studiengang das Wohlbefinden von Studierenden fördert. Wie erklären Sie das?    

Das scheint zunächst ein Widerspruch: Identifikation ist ja das Gegenteil von Distanzierung. Aber das sind unterschiedliche Konzepte. Hier geht es viel um das Gruppengefühl. Wenn ich mich mit der Gruppe, in der ich mich bewege – in diesem Fall angehende und fertige Ärzte – stark identifiziere, wenn ich bei ihnen Eigenschaften sehe, die ich selbst habe oder haben will, trägt das unter gleicher Belastung zu einem höheren Wohlbefinden bei. Wir können hier natürlich Parallelen zu religiösen Gemeinschaften oder Sportvereinen ziehen: Identifizieren wir uns stark mit einer Gemeinschaft, kann es einen Beitrag dazu leisten, dass wir Belastungen besser standhalten können.

Soziale Unterstützung und Zugehörigkeit sind also wesentlich für Resilienz.   

Ja, das haben wir immer wieder gesehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.  

Welche Punkte sind noch wichtig? 

Die Forschung weiß ja inzwischen ziemlich genau, was krank macht und belastet. Wir haben uns deshalb gefragt: Was hält während des Studiums gesund?  

Und die Antwort ist?  

Im Prinzip die Basics: Körperliche Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, regelmäßige Pausen. Alles, das die eigenen Ressourcen stärkt, also auch ein Musikinstrument spielen, ein Buch lesen, sich mit Freunden treffen. Das ist das Konzept von Resilienz: Ich darf auch mal über meine Leistungsgrenze gehen, meinen Resilienz-Vorrat sozusagen anknabbern, sollte ihn aber auch stets wieder auffüllen, damit er nicht ganz aufgebraucht ist.

„Sich von Gedanken distanzieren: Für viele eine neue Erfahrung – und eine Herausforderung.”

An einer Stelle sprechen Sie von einem resilienten Umgang mit Stress: Wie sieht ein solcher aus?  

Das allererste ist, sich einzugestehen, dass man Stress hat und sich stressen lässt. Das verdrängen viele, selbst wenn sich schon physische Symptome wie Bauchschmerzen oder Hautprobleme einstellen. Wichtig ist auch das Bewusstsein für die eigene Leistungsfähigkeit. Gerade am Anfang des Medizinstudiums halten sich viele für unverwundbar. Die Erkenntnis, dass sie nicht unbegrenzt leistungsfähig sind, die macht sich oft zu spät breit.  

Ist Resilienz also auch eine Frage der Denkmuster?   

Sicher, der Kopf spielt eine Hauptrolle. Das Thema Denkmuster ist sicherlich wichtig: Dass man Gedanken ziehen lassen und sich von ihnen distanzieren kann. Für viele eine neue Erfahrung – und eine große Herausforderung. Mit 17 oder 18 Jahren ist es zwar bereits zum hohen Grad ausgeprägt, wie man mit Belastungen umgeht. Aber wenn man regelmäßig übt, lassen sich natürlich einige hinderliche Denkmuster aufbrechen und begrenzen.

Sie sprechen auch von resilienzfördernden Interventionen. 

Letztendlich fördern Interventionen, wie mehr körperliche Bewegung einbauen oder mehr Zeit in gesunde Ernährung investieren, auch die Distanzierungsfähigkeit: Wenn ich mich vom Schreibtisch löse, um etwas zu kochen oder zum Sport herauszugehen, übe ich Distanzierung – da liegt ja noch was auf dem Schreibtisch, das wird ja nie alles fertig, und man braucht sozusagen den Mut, um trotzdem etwas anderes zu machen.   

Also: Raus aus dem Kopf, rein in den Alltag. 

Genau.

Welche Interventionen könnten außerdem helfen?   

Über das Individuelle haben wir schon gesprochen, im Studium oder auf der Arbeit könnten das niedrigschwellige Rückenangebote sein, kulturelle Angebote zum Mitspielen oder Mitsingen, eine Kantine mit gesundem und leckerem Essen, ausreichend Pausenräume. Fahrradabstellräume und Reparatur-Möglichkeiten, damit Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen können. Oder Achtsamkeitsangebote und das Erlernen von Entspannungstechniken – nicht jede ist etwas für jeden. Wichtig ist vor allem die Einstellung der Organisation zu dem Thema: Ist auf der Führungsebene ein Bewusstsein da, dann ist schon der erste wichtige Schritt geschafft.

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