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„Auch Ruhephasen sind produktiv“: Susanne E. Kopp im Interview

Für Susanne E. Kopp steht HR nicht für „Human Resources“, sondern für „Human Relations“. Sie ist People Experience Partner und Scrum Masterin in einer Tochtergesellschaft eines großen Autokonzerns. Ein Gespräch über Fokus, Abschalten und Führungsverantwortung.

Susanne Kopp im Interview

Du bezeichnest dich auf LinkedIn als Advokatin für lebenswertes Arbeiten. Was heißt das für Dich? 

Für mich bedeutet es, Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können, die auf den Erfolg des Unternehmens, aber auch auf die Menschen um sie herum einwirken – psychologische Sicherheit in Teams basiert schließlich auf Beziehungen.  

Es ist gar nicht so einfach, Deinen Job zu erklären. Im Grunde bringst Du New Work Prinzipien in HR-Teams?  

Richtig. Agile HR ist das Stichwort: Wir arbeiten in Sprints, wir haben eine Roadmap, wir arbeiten nach ähnlichen Prinzipien wie die Teams in der Software-Entwicklung – das machen noch nicht so viele. Mein Fokus ist es, Teams arbeitsfähig zu machen, einen Grundrahmen zu schaffen: Wie kommunizieren wir, miteinander und abteilungsübergreifend, sind alle Schnittstellen bekannt? Familienfreundlichkeit, Inklusivität und Diversity sind ebenfalls meine Kernthemen. 

Du bist auch Scrum Masterin, Projektmanagerin und Agile Coach – und vorher hast du lange in der Organisationsentwicklung gearbeitet … 

…richtig, ich predige Fokus, aber ich selbst springe oft zwischen verschiedenen Themen. Allerdings versuche ich zumindest innerhalb der Aufgaben den Fokus zu behalten. Ich habe das Glück, dass ich mich oft in neue Themen einarbeiten darf – aber natürlich ist es nicht immer einfach.  

Wie schaltest Du ab? 

Ich versuche, mir Arbeitsblöcke und auch freie Blöcke zu schaffen. Ich finde Bewegung wichtig und gehe regelmäßig raus an die frische Luft. Und wenn ich wenig Zeit habe, dann laufe ich zumindest kurz die Treppe auf und ab. Ich ertappe mich oft dabei: Wenn mein Kalender nicht so voll ist, denke ich: Ach, heute nichts zu tun? Zeit ist gleich Geld, das ist bei uns stark verankert. Das ist ein großer Denkfehler: Etwas für unproduktiv zu halten, nur weil wir es nicht messen oder nicht in Rechnung stellen können. Auch Ruhephasen sind produktiv. Selbst im Schlaf wird bestehendes Wissen weiterverarbeitet. Nur wird das gesellschaftlich nicht anerkannt. Ich habe auch lange mit mir gehadert, ob ich meine Arbeitsstunden reduziere.  

Hast Du das gemacht? 

Ja, ich bin vor ein paar Jahren auf 80 % gegangen und jetzt für eine befristete Zeit nochmal auf 65 %.  

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Warum hast Du Dich dafür entschieden? 

Zum einen, weil ich mich um ein paar persönliche Dinge kümmern wollte. Zum anderen, weil ich gucken wollte: Was macht es mit mir, wenn ich „wieder Zeit“ habe? Und ich habe auch auf meinen Körper gehört: Ich war öfter müde, hatte zwischendurch Probleme mit der Physis. Der Körper bremst einen manchmal als letzte Instanz.  

In meinem Umfeld gibt es einige, die andere Formen des Arbeitens leben, angestellt oder freiberuflich. Das hat mich inspiriert, mich auch anders zu organisieren und dieses Experiment zu machen.  

Was hat sich dadurch für Dich verändert? 

Ich bin mehr spazieren gegangen, habe angefangen zu schreiben, zu malen: Kreativ werden klappt eher am weißen Blatt als am vollgeschriebenen. Ich bin wieder präsenter, nicht die ganze Zeit so beschäftigt. Ich habe Zeit, Menschen zu treffen, Beziehungen zu pflegen. Ich gehe mit einer anderen Haltung durch die Welt. Das hat mich bestärkt. Aber ich musste mich auch bremsen. Als ich gestartet bin, und dazwischen, mir nicht direkt wieder einen Projektplan zu machen.  

Wie organisierst Du Dich? 

Manche Konzepte gehen für mich nicht – zum Beispiel sich einen halben Tag freinehmen. Das funktioniert für manche gut, aber wenn ich morgens arbeite, bin ich den ganzen Tag gedanklich mit der Arbeit beschäftigt. Natürlich ist es ein Spannungsfeld: Auch wenn ich weiß, der ganze Tag gehört mir, kommen auch mal Arbeitsthemen hoch. Aber das ist in Ordnung. Dann verarbeite ich halt was.  

Du sprichst auch von Work-Life-Flow … 

…ich kann Arbeit und Leben nicht auseinanderhalten. Mein Kopf arbeitet ja weiter. Seit der hybriden Arbeit fällt es teils noch schwerer, abzuschalten. Es gibt so viele Menschen, die auch nachts an die Arbeit denken. Das kann schnell ungesund werden. Ich würde aber gerne eine gesunde Form davon leben und verkörpern, eben die Arbeit ins Leben integrieren. Ich bin ein ganzer Mensch, ich komme als Mensch zur Arbeit und bringe auch meine privaten Erfahrungen und Gedanken mit. Es gibt auch Führungskräfte, denen es nichts ausmacht, dass sie zwischendurch abends E-Mails angucken, sie sind dann trotzdem wieder präsent, wenn sie ihre Kinder ins Bett bringen. Das ist auch Work-Life-Flow. 

Ist das generell eine Herausforderung für Führungskräfte? 

Na klar. Lebe ich vor, dass ich auch mal nicht erreichbar bin? Vertraue ich darauf, dass alles läuft? Ich habe auch gern die Dinge unter Kontrolle, ich habe gern eine Struktur.  

Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass wir in einem System unterwegs sind, das auf Maßstäben der Industrialisierung baut. Wir müssen effizient und effektiv sein. Aber viele Dinge brauchen Zeit. Und Zeit haben wir in solchen Positionen meist nicht so viel. Nehmen wir das Thema Mental Health: Erkenne ich, wenn meine Mitarbeitende Probleme haben? Dafür müssen wir miteinander sprechen, so etwas erkennt man im Gespräch. Dafür müssen wir uns Zeit nehmen. Sollte man sowas nicht schulen? Haben wir dafür Zeit im Unternehmen? Meist eher wenig. Wie bewerten wir also diese Zeit?  

Das sind ganz schön viele Fragen.

… oh ja. Ich habe sogar in einer Unterschrift stehen: „Frau der Fragen.“ Ich sage auch im Team immer: Ich werde mehr Fragen stellen als Antworten geben. Das meiste wissen wir beziehungsweise können aus uns selbst schöpfen. Für mich gibt’s nichts Besseres, als mit einer Frage jemanden zum Nachdenken zu bringen. Und kurz mit der Frage zu sein, die Ungewissheit auszuhalten. Das ist nicht immer einfach. Aber das lohnt sich.  

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