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Mit Stress umgehen: „Raus aus dem Kopf, rein in die Realität“

Ein stressfreies Leben – möchte das nicht jede:r? Falscher Ansatz, sagt addisca-Trainer Winfried Lotz-Rambaldi, denn Stress ist ganz normal. Wie können wir besser damit umgehen und uns effektiver erholen? Winfried sagt: Indem wir uns fokussieren – und eine neue Beziehung zu unseren Gedanken entwickeln.

Winfried Lotz-Rambaldi

Winfried, du sagst, dass du relativ entspannt durchs Leben gehst. Was ist dein Geheimnis? 

Als Psychotherapeut habe ich natürlich ein anderes Umfeld als zum Beispiel Pflegekräfte, ich mache keine Doppelschichten und Nacht- oder Wochenenddienste. Ich habe größere Freiheiten und kann ziemlich selbstbestimmt arbeiten, das senkt schon mal die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich überlastet fühle. Und ich bin ein Mann – Männer sind im Durchschnitt besser darin, sich nicht so einen Kopf zu machen. Ich kann mich ganz gut ausklinken und, auch wenn es gerade nicht gut läuft, sagen: Ist zwar blöd, aber ich werde jetzt nicht darüber nachdenken. Das ist erstmal eine Persönlichkeitsfrage, aber natürlich versuche ich auch immer mal wieder, bewusst eine metakognitive Perspektive einzunehmen. 

Was wäre dein Tipp für Menschen, die unter Dauerstress leiden?

Zunächst mal: Um Stress als solchen kommen wir im Leben nicht herum – und das ist auch völlig in Ordnung. Er ist eine ganz normale Reaktion auf Anforderungen. Meist meinen wir mit Dauerstress häufig wiederkehrenden Stress. Die Frage ist: Wie häufig tritt er auf und können wir uns dazwischen erholen und runterfahren? Dauerstress hält man nämlich nicht gut aus. Experimente an Tieren zeigen, dass sie früher sterben, wenn man sie längere Zeit unter Stress setzt.

Wie können wir Stress reduzieren – oder besser damit umgehen?  

Wir sollten zunächst prüfen, ob wir die stressauslösenden Rahmenbedingungen zumindest ein Stück weit verändern können. Wenn der Job zu sehr stresst, kann man womöglich die Stunden reduzieren, die Abteilung oder den Arbeitgeber wechseln. Manchmal ist die Belastung so groß, dass man sich erstmal zum Beispiel durch eine Krankschreibung rausnehmen sollte, um die akute Stresssituation zu beenden. Und grundsätzlich sollte überprüft werden, ob man vielleicht den objektiv vorhandenen Stress sogar noch unbeabsichtigt zusätzlich verstärkt. 

Wie machen wir das? 

Das kann ganz leicht passieren, zum Beispiel indem wir unsere Aufmerksamkeit ungünstig fokussieren. Nehmen wir mal eine Situation, in der objektiv von außen betrachtet kein Stress vorhanden ist, also keine Aufgabe, die es gerade zu erledigen gilt. Sagen wir, ich gehe im Wald spazieren, also in einer grundsätzlich erholsamen Umgebung. Wenn ich beim Spazieren nur noch daran denke, dass ich diese und jene Aufgabe noch nicht erledigt habe, grübele oder mich ärgere, dass ich nicht früher damit begonnen habe oder mir Sorgen mache, ob ich es noch rechtzeitig schaffe, und was passieren wird, wenn nicht – was erlebe ich dann?

Stress. 

Genau. Und in diesem Moment ist er selbstgemacht. Ich kann mich nämlich entscheiden, ob ich mich auf die Eindrücke, die mir der Wald bietet, konzentriere oder ob ich mit meiner Aufmerksamkeit bei der unerledigten Arbeit sein möchte. 

„Will ich mich wirklich jedes Mal aufregen?“

Ist der meiste Stress im Leben selbstgemacht?

Daran glaube ich nicht, aber Vieles müsste nicht sein. Von Karl Valentin stammt der Spruch: “Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch!” Der Regen, als Sinnbild, macht mir objektiv Stress, ich werde nass oder kann etwas Bestimmtes nicht tun. Daran kann ich nichts ändern. Wenn ich mich darüber auch noch aufrege, verstärke ich zusätzlich und eigentlich unnötigerweise das schlechte Gefühl in mir. Ich kann den Regen auch akzeptieren als etwas, das ich nicht beeinflussen kann und muss mich daran gedanklich nicht abarbeiten. Sagen wir mal, ich habe einen Berg von Aufgaben und einen blöden Chef, ich will den Job aber trotzdem behalten. Will ich mich wirklich jedes Mal aufregen, dass der Chef ungerecht ist – also dass es gerade wieder regnet? Stattdessen kann ich sagen: Ich befasse mich nicht damit, sondern arbeite ab, was ich kann.

Welche Rolle spielen die Gedanken beim Stress?

Wir können unser Stressempfinden durchaus steuern, indem wir unseren Fokus aktiv lenken. Objektiv mag es so sein, dass eine Aufgabe unerledigt ist. Aber wenn ich gerade beim Waldspaziergang bin, habe ich die Wahl: Will ich mich jetzt damit beschäftigen? Hilft mir das bei der Erledigung der Aufgabe? Vermutlich nicht, ich habe ja auch gar keinen Laptop dabei. Vermutlich wird es zu schlechten Gefühlen führen, wenn ich mich länger damit gedanklich beschäftige. Und die Gedanken an die unerledigte Arbeit sind ja nur Gedanken, sie sind nicht die Arbeit selbst. Ich kann mir aber vornehmen, die Aufgabe bei der Rückkehr ins Büro sofort anzugehen und stattdessen meine Aufmerksamkeit auf das, was gerade wirklich real ist, zu richten, auf die Eindrücke im Wald, den Geruch der Tannen, die Vogelstimmen, den weichen Waldboden. Wenn ich dann wieder am Schreibtisch sitze, kann ich mich auch da wieder entscheiden: Hadere ich mit mir und grüble darüber nach, warum ich es nicht schon längst erledigt habe? Oder wende ich mich der Realität zu und bearbeite die vor mir liegende Akte?

Die Gedanken spielen also eine große Rolle.

Was aber auch nicht heißt, dass man versuchen sollte, sie zu unterdrücken. Wenn ich im Wald spazieren gehe, kommt der Gedanke an die Arbeit vielleicht automatisch hoch. Von solchen spontan auftauchenden Gedanken haben wir tausende am Tag, die lassen sich gar nicht unterdrücken. Aber wir können uns entscheiden, ob wir uns mit ihnen beschäftigen wollen. Das tun wir nämlich mit den allermeisten dieser automatischen Gedanken nicht. Wir können auch sagen: Ich nehme sie wahr und kümmere mich um etwas anderes. Gedanken kommen und gehen – es sei denn, wir halten sie fest und machen etwas mit ihnen!

Wenn ich häufig gestresst bin, hilft es mir also, meine Aufmerksamkeit zu trainieren?

Ja, zum Beispiel in dem Sinne, dass ich die Aufmerksamkeit aktiv auf das lenke, was gerade real und wirklich wichtig ist. Wenn ich an die fünf Sachen gleichzeitig denke, die ich alle noch erledigen muss, dann komme ich wahrscheinlich nicht weiter. Aber wenn ich mich nur auf eine Sache konzentriere, müsste der Stresspegel eigentlich runterfahren. Raus aus dem gedanklichen Kreisverkehr, der sich um die fünf unerledigten Aufgaben dreht und rein in die eine reale Aufgabe, der ich mich gerade widme.

„Stress darf nicht sein - das ist der falsche Ansatz.“

Sich zu fokussieren, das fällt vielen nicht leicht. 

Kommt drauf an, wie man es angeht: Wenn man sagt, da darf kein Stress sein, ist es der falsche Ansatz. Es kann ja eine komplizierte und anstrengende Aufgabe sein. Wichtig ist, dass ich mich der Aufgabe widme. Und mich von nicht hilfreichen Gedanken, die mich davon abhalten, lösen kann. Zunächst sind das automatische Gedanken: Warum ist mein Chef blöd, warum bekomme ich diese Aufgaben, warum schaffe ich das nicht? Sie laden ein, ins Karussell aus Grübeleien und Sorgengedanken einzusteigen, was meine Stimmung und auch meinen Output nach unten drückt.  

Diese automatischen Stress-Gedanken sind also noch gar nicht das Problem? 

Nein. Das meint das Gehirn ja auch nicht böse mit uns, es will uns was Gutes tun und macht Vorschläge: “Denk doch mal darüber nach, Montag ist Abgabe!” Das ist ja nicht zwingend ein negativer Gedanke. Aber wenn ich festhalte und weiterdenke, was alles passieren kann, komme ich in die negative Spirale rein. Man kann den Umgang damit auch verändern. 

Und wie? 

Da kommen die Metakognitionen ins Spiel, also die Grundüberzeugungen über unser Denken. Wir können sie als Voreinstellungen im Gehirn verstehen oder als Lotsen oder Hinweisschilder, nach denen wir uns richten. „Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis“ ist z.B. eine Metakognition, also eine Annahme, die ich über meinen Denkapparat habe. Eine andere Metakognition von mir ist: “Wenn mir ein Name nicht einfällt, gehe ich im Geiste das Alphabet ganz langsam durch und oft fällt mir beim richtigen Buchstaben der Name wieder ein”.  

Metakognition verstehen – in 5 Mails

In den nächsten 5 Wochen erhältst Du eine E-Mail pro Woche und lernst wichtige Basics über Deine Denkprozesse und welche Rolle Metakognitionen dabei spielen. 

Welche Metakognitionen können uns schaden? 

Zum Beispiel, wenn wir der Überzeugung sind, dass wir ein Problem aus der Vergangenheit immer wieder durchdenken müssen, weil wir dann irgendwann herausfinden werden, was damals schief gelaufen ist, weil wir glauben, dass wir vielleicht eine Antwort finden und dann für die Zukunft gewappnet sind. Die Erfahrung zeigt aber, da kommen wir eben nicht auf eine Lösung, sondern verlieren uns in Grübelschleifen.

Jeder von uns grübelt manchmal. Ab wann wird es denn schädlich?

Es kommt auf das Ausmaß an. Wenn wir merken, dass es uns nicht gut tut, dass wir so in eine schlechte Stimmung kommen, vielleicht immer wieder, und sich das auf diese Art verfestigt – dann kann das zu einer mentalen Gewohnheit werden. Oft spielt dann eine andere Metakognition eine Rolle: “Ich kann mein Grübeln überhaupt nicht steuern.”

„Mach dir nicht so viele Gedanken.“

Ist das denn falsch?

Ja. Das ist einfach zu überprüfen: Stell dir vor, du grübelst und das Telefon klingelt oder der Feueralarm geht los. Was passiert? Du unterbrichst blitzschnell das Grübeln. Offensichtlich ist das andere wichtiger. Unsere Metakognitionen sind uns meist nicht bewusst, aber sie lassen sich leicht bewusst machen.

Manchmal muss man auch über schwierige Dinge nachdenken. Wie halte ich mich davon ab, in Grübelschleifen zu verfallen? 

Es kann natürlich nicht das Ziel sein, negative Gedanken und Gefühle komplett auszuschalten. Es geht darum, auch sie zu akzeptieren und aushalten zu lernen, sie aber auch nicht weiter zu verstärken, indem wir uns zu sehr damit beschäftigen. Die automatischen Gedanken, die zum Grübeln oder Sorgen einladen, kommen, ob man will oder nicht. Aber ich kann entscheiden: Möchte ich ihnen folgen oder nicht? Hilft mir das gerade oder ist es kontraproduktiv? Ganz nach dem Motto: Denkst du noch oder grübelst du schon?

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In der Therapie hieß es früher eher: Achte auf deine innere Stimme, beschäftige dich mit dir selbst, finde heraus, wo deine Probleme liegen…

… ja, manchmal ist das auch sinnvoll – aber grundsätzlich sagt man heute eher: Raus aus dem Kopf und den Gedanken, rein in die Realität und ins Handeln. Wir haben gelernt, dass der Ansatz, immer wieder über seine Probleme zu sprechen, oft nicht weiterhilft. Letztlich fischst du immer weiter im selben trüben Teich. Wenn du in einer Grube sitzt, solltest du als erstes mit dem Graben aufhören! Die Studien belegen den umgekehrten Weg: Wenn man es schafft, weniger zu grübeln, ist man weniger depressiv. Das ist eine weitere Stärke des metakognitiven Ansatzes: Es ist wissenschaftlich belegt, dass er tatsächlich hilft.

Das klingt ziemlich simpel: Einfach nicht grübeln.

Ja, der metakognitive Ansatz wirkt manchmal fast ein wenig langweilig, denn es geht immer wieder um dieselben gedanklichen Mechanismen. Die spannenden Geschichten, die die Menschen mitbringen, unterscheiden sich, aber wir rücken sie beim metakognitiven Ansatz nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Stattdessen fragen wir: “Was bringt es dir, dich damit grübelnd und sorgend zu beschäftigen? Das ist für viele Patienten erstmal ungewohnt und sie denken: “Der interessiert sich ja gar nicht für meine Probleme”. Und doch geht der Fortschritt meist viel schneller, wenn wir es richtig anpacken. Denn es ist oft viel lohnender, direkt an den “Voreinstellungen” zu drehen – also am Umgang mit den eigenen Gedanken!

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