Winfried, im ersten Teil des Interviews empfiehlst Du, sich zum besseren Umgang mit Stress zu fokussieren. Leicht gesagt, denn genau das fällt ja oft schwer.
Kommt drauf an, wie man es angeht: Wenn man sagt, da darf kein Stress sein, ist es der falsche Ansatz. Es kann ja eine komplizierte und anstrengende Aufgabe sein. Wichtig ist, dass ich meine Aufmerksamkeit darauf lenken kann und mich der Aufgabe widme – und mich von nicht hilfreichen Gedanken, die mich davon abhalten, lösen kann. Zunächst sind das automatische Gedanken: Warum ist mein Chef blöd, warum bekomme ich diese Aufgaben, warum schaffe ich das nicht? – Sie laden ein, ins Karussell aus Grübeleien und Sorgengedanken einzusteigen, was meine Stimmung und auch meinen Output nach unten drückt.
Diese automatischen Stress-Gedanken sind also noch gar nicht das Problem?
Nein. Das meint das Gehirn ja auch nicht böse mit uns, es will uns was Gutes tun und macht Vorschläge: „Denk doch mal darüber nach, Montag ist Abgabe!” Das ist ja nicht zwingend ein negativer Gedanke. Wenn ich den allerdings festhalte und weiter darauf herum denke, was alles passieren kann, komme ich in die negative Spirale rein. Aber: Man kann den Umgang damit auch verändern!
Und wie?
Da kommen die Metakognitionen ins Spiel, also die Annahmen über unser Denken. Wir können sie als Voreinstellungen im Gehirn verstehen oder als Lotsen oder Hinweisschilder, nach denen wir uns richten, mit denen wir unser Denken steuern, z. B. wann wir uns womit und wie beschäftigen. Wir alle haben verschiedenste Metakognitionen: „Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis“ ist z. B. eine Metakognition, also eine Annahme, die ich über meinen Denkapparat habe. Eine andere Metakognition von mir ist: „Wenn mir ein Name nicht einfällt, gehe ich im Geiste das Alphabet ganz langsam durch und oft fällt mir beim richtigen Buchstaben der Name wieder ein”.
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Welche Metakognitionen können uns schaden?
Zum Beispiel, wenn wir der Überzeugung sind, dass wir ein Problem aus der Vergangenheit immer wieder durchdenken müssen, weil wir dann irgendwann herausfinden werden, was damals schiefgelaufen ist, weil wir glauben, dass wir vielleicht eine Antwort finden und dann für die Zukunft gewappnet sind. Die Erfahrung zeigt aber, da kommen wir eben nicht auf eine Lösung, sondern verlieren uns in Grübelschleifen wie beispielsweise „hätte ich damals doch“. Und das erzeugt weiteren Stress.
Jeder von uns grübelt manchmal. Ab wann wird es denn schädlich?
Es kommt auf das Ausmaß an. Wenn wir merken, dass es uns nicht guttut, dass wir so in eine schlechte Stimmung kommen, vielleicht immer wieder, und sich das auf diese Art verfestigt – dann kann das zu einer mentalen Gewohnheit werden. Oft spielt dann eine andere Metakognition eine Rolle: „Ich kann mein Nachdenken darüber überhaupt nicht unterbrechen.” Grübeln und Sorgenmachen werden dann als unkontrollierbar erlebt.
„Mach Dir nicht so viele Gedanken.“
Winfried Lotz-Rambaldi
Ist das den falsch?
Ja. Das ist einfach zu überprüfen: Stellen wir uns vor, man grübelt und das Telefon klingelt oder der Feueralarm geht los. Was passiert? Das Grübeln wird blitzschnell unterbrochen. Offensichtlich ist das andere wichtiger. Unsere Metakognitionen sind uns meist nicht bewusst, aber sie lassen sich leicht bewusst machen.
Manchmal muss man auch über schwierige Dinge nachdenken. Wie halte ich mich davon ab, in Grübelschleifen zu verfallen?
Es kann natürlich nicht das Ziel sein, Probleme zu verdrängen oder belastende Gedanken und Gefühle komplett auszuschalten. Es geht darum, auch sie zu akzeptieren und aushalten zu lernen, sie aber auch nicht weiter zu verstärken, indem wir uns zu sehr damit beschäftigen. Die automatischen Gedanken, die zum Grübeln oder Sorgen einladen, kommen, ob man will oder nicht. Aber ich kann entscheiden: Möchte ich ihnen folgen oder nicht? Hilft mir das gerade oder ist es kontraproduktiv? Ganz nach dem Motto: Denkst Du noch oder grübelst Du schon?
In der Therapie hieß es früher eher: Achte auf Deine innere Stimme, beschäftige Dich mit Dir selbst, finde heraus, wo Deine Probleme herkommen…
… ja, manchmal ist das auch sinnvoll – aber grundsätzlich sagt man heute eher: Raus aus dem Kopf und den Gedanken, rein in die Realität und ins Handeln! Wir haben gelernt, dass der Ansatz, immer wieder über seine Probleme zu sprechen, oft nicht weiterhilft. Letztlich fischst Du immer weiter im selben trüben Teich. Die Studien belegen den umgekehrten Weg: Wenn man es schafft, weniger zu grübeln, ist man weniger depressiv. Wenn Du in einer Grube sitzt, solltest Du als erstes mit dem Graben aufhören! Und weniger Sorgenmachen über die Zukunft reduziert nachweislich Ängste. Und diese neue Haltung zu den eigenen Gedanken lässt sich sehr gut erlernen. Was sich wiederum günstig auf unser Stresserleben auswirkt. Das ist eine weitere Stärke des metakognitiven Ansatzes: Es ist wissenschaftlich belegt, dass er tatsächlich hilft.
Das klingt ziemlich simpel: Einfach nicht grübeln.
Ja, der metakognitive Ansatz wirkt manchmal fast ein wenig langweilig, denn es geht immer wieder um dieselben gedanklichen Mechanismen. Die spannenden Geschichten, die die Menschen mitbringen, unterscheiden sich, aber wir rücken sie beim metakognitiven Ansatz nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Stattdessen fragen wir: „Was bringt es Dir, Dich damit grübelnd und sorgend zu beschäftigen? Das ist für viele Menschen erstmal ungewohnt und sie denken: „Der interessiert sich ja gar nicht für meine Probleme”. Und doch geht der Fortschritt meist viel schneller, wenn wir es richtig anpacken. Denn es ist oft viel lohnender, direkt an den „Voreinstellungen” zu drehen – also am Umgang mit den eigenen Gedanken!