Darya, Du bist Jobcoach und Ausbildungsbegleiterin. Was machst Du konkret?
Als ich anfing, habe ich Menschen begleitet, die seit mehr als fünf Jahren arbeitslos waren. Wenn Unternehmen Langzeitarbeitslose einstellen, bekommen sie einen Lohnkosten-Zuschuss. Ich habe diese Menschen im neuen Job begleitet und mich um alles gekümmert, was den Fokus von der Arbeit entzieht: Psychologische und soziale Betreuung, Konflikte am Arbeitsplatz oder fehlende Berufskompetenzen. Es ging auch viel um Privates: Wer passt auf die Kinder auf, wenn eine alleinerziehende Mutter in Schichten arbeitet? Wer pflegt die Eltern? Oft wollten sie sich einfach bei jemandem über ihren Tag auskotzen.
Hat das denn normalerweise geholfen?
Mir nicht. (lacht) Ehrlich gesagt, ihnen auch nicht wirklich. Sie werden zwar für den Moment den Stress los, kommen aber nicht weiter. Nach dem Ventilieren ist der Druck leichter zu ertragen, aber echte Veränderungen anzustoßen ist schwierig, weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist.
Veränderungen anstoßen, darum geht es hauptsächlich bei Deiner aktuellen Aufgabe?
Aktuell betreue ich junge Menschen unter 25, die es nicht aus eigener Kraft geschafft haben, eine Lehrstelle zu finden. Wir verbessern ihre Bewerbungsunterlagen und bereiten sie auf Vorstellungsgespräche vor. Und abseits der offiziellen Stellenbeschreibung verpassen wir ihnen einen liebevollen Arschtritt, damit sie aktiv werden und es auch bleiben. Manche vermitteln wir mit Liebe und bei manchen atmen wir auf, wenn sie weg sind. Interessanterweise sind letztere manchmal besonders dankbar (lacht).
Was sind das für Menschen, die bei Dir landen?
Zum Auftakt habe ich die jungen Menschen beim letzten Durchlauf einen Persönlichkeitstest machen lassen. Einige der Teilnehmenden stellten fest, dass sie introvertiert, empathisch und friedlich sind, aber Schwierigkeiten haben, sich zu strukturieren. Nach der Pandemie natürlich ganz besonders. Einige leiden unter Depressionen, ADHS und haben massive familiäre Probleme. Einer kommt aus Syrien und kann nicht zurück, weil er sonst zum Militärdienst müsste und im Krieg sterben könnte. Bei einem einzigen war tatsächlich alles gut (lacht). Mir wurde schon von Missbrauch erzählt, von Suizidgedanken, von gescheiterten Liebesgeschichten. Es wird sehr schnell sehr persönlich.
“Mit dem Fokus haben fast alle ein Problem”
Darya Borysenko
Wo fängt man da bloß an?
Ich muss dazu sagen, dass die Maßnahme um 7:15 anfängt und ich extrem dankbar für jeden war, der um diese Zeit auf der Matte stand. Inhaltlich ging es um rhetorisches Training, Kommunikation, Körpersprache oder Präsentationstechniken. Wir haben Bewerbungsgespräche simuliert und Stilberatung vor Vorstellungsgesprächen angeboten. Unterschwellig war Selbstwertgefühl jedoch immer wieder das Thema. Viele der jungen Menschen waren resigniert und fragten, warum sie überhaupt so viel Aufwand betreiben sollen, weil sie es sich in ihren Augen nicht wert waren. Da bin ich stellenweise philosophisch und psychologisch derart ausgeufert, dass am Ende drei Leute geweint haben, und ich auch schon Tränen in den Augen hatte. Ich hatte das Gefühl, ich coache mich selbst mit. (lacht) Es ging auch darum, wie man Grenzen setzt, seine Zeit vernünftig plant und den allgemeinen Fokus steigern kann.
Haben sie damit Probleme gehabt?
Ja, fast alle. Vor allem durch den medialen Konsum. Durch Social Media werden die Infohäppchen immer kleiner, und jedes davon schenkt Unterhaltung, ein wenig Dopamin oder zumindest einen neuen Eindruck. Das Gehirn gewöhnt sich schnell daran, will immer mehr und braucht einen stärkeren „Kick“, bis man sich kaum 30 Sekunden lang auf eine Sache konzentrieren kann. Wir haben diskutiert, wie man die Aufmerksamkeitsspanne wieder erweitern kann.
Was sind Deine Tipps?
Zum einen Digital Detox und Singletasking: Ein, zwei Stunden am Tag kein Handy und einen bewussten Aufwand betreiben, eine einzige Sache fokussiert zu machen. Zum anderen: Algorithmen der jeweiligen Anwendungen durch bewusste Interaktion so trainieren, dass sie einen mit nützlichen Dingen füttern: Fitnessübungen, gesunde Rezepte, spannende Fakten aus Wissenschaft oder Geschichte. Dann konsumierst du wenigstens etwas, das dich nährt.
Welche Menschen sind für Dich am schwierigsten zu vermitteln?
Am schwierigsten sind die Menschen mit einer Anspruchshaltung, die in keinerlei Relation zu ihren Fähigkeiten steht. Und die zugleich keine Unannehmlichkeiten ertragen. Diese kommen dann in die Ausbildung, haben neue Aufgaben, neue Hierarchien, müssen plötzlich früh aufstehen und reinhauen, das ist anstrengend. Je weniger sie bereit sind, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie es schaffen.
Wie hast Du solche Menschen überhaupt motivieren können?
Dafür muss ich sie kennenlernen und verstehen, was ihnen wichtiger ist als Ruhe und Komfort. Wenn man so argumentiert, hat man die Chance, die Leute etwas wachzurütteln, bis sie in Schwung kommen.
Welche Dinge sind es?
Vor allem Unabhängigkeit: Nicht von Mama, Papa oder dem Partner finanziell abhängig zu sein. Nicht zwei Mal im Monat zum Jobcenter zu gehen, um sich zu rechtfertigen, warum sie es immer noch nicht geschafft haben. Natürlich ist es anstrengend, für sich selbst zu sorgen, aber die jetzige Situation empfinden diese Menschen auch als belastend. Die Freiheit liegt darin, sich diese Belastung selbst aussuchen zu können. Auch Selbstachtung kann ein starker Motivator sein. Im Gegensatz zur Selbstliebe resultiert sie aus Taten, aus der Bewältigung von Herausforderungen. Das ist ein bestärkendes Gefühl. Bei manchen geht es auch um Status, Ansehen. Und manche haben einfach eine große Liebe zu einem bestimmen Beruf.
“Angst davor, es zu versuchen und zu scheitern”
Darya Borysenko
Was ist für Dich die größte Herausforderung in diesem Job?
Tag für Tag junge Menschen zu erleben, die sich teilweise sehr stark selbst im Weg stehen und zu merken, wie sie den eigenen Fortschritt gefährden. Wenn sie nicht im Unterricht erscheinen, Probearbeiten sabotieren, den Aufgaben ausweichen und mir ins Gesicht lügen – diese Menschen weiterhin gern zu haben und ihnen zu verzeihen, dass sie weder meine noch ihre eigene Zeit und Energie respektieren. Es nicht persönlich zu nehmen. Und zu sagen: Ich versuche es trotzdem nochmal mit dir.
Warum stehen sie sich selbst im Weg?
Oberflächlich gesehen sind das Menschen, die sich nicht ausreichend vorbereiten. Jeder kann im Internet umsonst schicke Lebenslauf-Vorlagen herunterladen und recherchieren, wie man einen guten Eindruck vermittelt. Jeder könnte theoretisch regelmäßig Bewerbungen schicken und für Vorstellungsgespräche üben. Aber obwohl das alles in Reichweite ist, kommen manche ungeleckt, mit kreativer Auffassung der deutschen Rechtschreibung, underdressed und gänzlich unvorbereitet. Und das ist eine Form von Selbstsabotage.
Inwiefern?
Sie haben Angst davor, es zu versuchen und festzustellen, dass sie nicht so gut sind, wie sie gehofft hatten. Alles zu geben, sich wirklich reinzuknien und dennoch zu scheitern ist eine niederschmetternde Vorstellung. Und so schreibt eine Teilnehmerin, sie habe aus Versehen scharfes Essen gegessen und könne heute nicht kommen. Bei einer anderen kotzt ihre Katze und dann hat sie einen Rohrbruch. Eine dritte fährt mitten in der Bewerbungsphase in den Urlaub. Ein Teilnehmer machte ständig schlechte Witze über sich selbst und erniedrigte sich geradezu – damit ihm niemand sonst damit zuvorkommen könnte, auch wenn niemand es vorhatte. All das sind Formen von Selbstschutz. So kommt man nie zum Scheitern, muss nie eigene Grenzen ausloten oder gar verteidigen. Manche wiederum verfallen angesichts der zahlreichen beruflichen Möglichkeiten in Entscheidungsstarre und machen einfach nichts. Und haben vielleicht noch ein Umfeld, das dieses Tempo verständnisvoll mitträgt.
Und so wird die Lücke im Lebenslauf immer größer.
Bis der Punkt kommt, an dem sie aufgeben. Bis 25 argumentieren sie, sie hätten ja noch Zeit, ab 25 heißt es, der Zug sei eh abgefahren. Und genau diese Verschwendung der Lebenszeit will ich bei ihnen verhindern.
“Wir haben eine hundertprozentige Vermittlungsquote”
Darya Borysenko
Hat sich Deine Mühe denn gelohnt?
In diesem Fall tatsächlich – wir haben eine hundertprozentige Vermittlungsquote.
Irgendwas musst Du richtig gemacht haben.
Mein Lieblingsbeispiel dafür ist der oben genannte Teilnehmer, der sich immer selbst kleingehalten hat. Er hielt sich für unfähig und die Mühe nicht wert, das kam in jedem Wort schmerzlich zum Ausdruck. Hinzu kam eine schwierige Lebenssituation mit Pflegefall in der Familie. Er hat sich am laufenden Band für Dinge entschuldigt, die nicht schlimm waren, Schwierigkeiten gehabt, Augenkontakt zu halten oder stimmlich Raum einzunehmen. Und zugleich ist das ein unfassbar offener, netter Mensch. Er war allen auf Anhieb sympathisch.
Wie hast Du ihn aus der Reserve gelockt?
Wir haben ihn wie alle anderen mit Gesprächssimulationen gequält, mit Kommunikationstraining und vor allem mit lauter spaßigen Fragen wie: „Warum bist du es dir wert, den Aufwand zu betreiben?“ Er kam jeden Morgen um 7:15, hat sich rege am Kursgeschehen beteiligt und fing sogar irgendwann an, persönliche Grenzen zu entwickeln, zu sagen, wenn ihm was zu viel wurde. Er bekam als erster diverse Einladungen zu Vorstellungsgesprächen, und ist zunächst sehr fließend zu kompletter Selbstüberschätzung übergegangen.
Okay, das war unerwartet. Wie ist das passiert?
Er dachte anfangs, er habe die freie Wahl und müsse sich nicht mehr bemühen. Dann kamen die Absagen und die Erkenntnis, dass die Begleitung durch uns in wenigen Wochen erlischt, wenn er bis dahin keinen Ausbildungsplatz findet. Das ist ja das Spannende – wir dürfen diese Menschen während ihrer Ausbildung weiter unterstützen und ihren Werdegang im Auge behalten. Als eine Einladung zu seinem absoluten Wunschjob kam, haben meine Kollegin und ich ihn eingepackt, sind ins Zentrum gefahren und ihn passend eingekleidet, bis rein optisch ein neuer Mensch vor uns stand. Er hat wahnsinnigen Eindruck hinterlassen. Nach dem Probearbeiten kam die Zusage und mittlerweile ist er aus dem Team kaum wegzudenken. Jedes Mal, wenn er zu unserem Termin kommt, strahlt er – am Ende hat es sich ausgezahlt.